Wo sind all‘ die Maschen hin

Heute sind Fanschals 17 cm breit und 150 cm lang. Im Stadion kosten sie 15 Euro, davor, beim fliegenden Händler, gibt’s sie für Fünf. Allerdings ohne Clubwappen, aus Angst vor den Vereinsanwälten. Zu jedem Anlass gibt es neue Schals, ein flotter Spruch, ein Willkommens- oder Abschiedsgruß, das bloße Stattfinden eines Spiels. Und alle sind aus Polyacryl.

Ich mag die schlichte Blockstreifenversion. Die gibt es zum Glück noch. Im Kapitalismus der Bundesliga ist man darauf angewiesen, dass Mitfans die Nachfrage hoch genug halten. Zumindest wenn man keine Oma mehr hat.
Bevor sich der Kunststoff den Fans an den Hals schmiss wurden Schals noch selbstgestrickt, dass heisst in der Regel ließ Mann selbststricken. Gerne wurde der Schal noch mit Aufnähern versehen und voller Achtung getragen, wie die Stola vom Pfarrer. Dabei war der Längenvergleich keineswegs tabuisiert. Mit jämmerlichen 140 cm hätte sich damals niemand in die Kurve getraut.

Ich fühle mich mit dem Polyacryl-Stück heute noch schlecht angezogen. Meinen Selbstgestrickten hatte auch ich einst im Wahn des Aufbruchs in die Moderne entsorgt. Nun leide ich darunter, dass an mir Zweimetermenschen die 140 cm Neuzeitstoff wirken wie Biekers Schal in den Händen Michael Caines als Ebenezer Scrooge. Und Oma ist tot. Eine Leihoma suchte ich bislang vergebens.

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