Die Geschichte eines Tabubruchs

Man mag den Partner wechseln oder zu einer anderen Religion konvertieren, aber seinem Fußballclub bleibt ein Fan treu! Bei mir war das anders. Vor ziemlich genau 10 Jahren lernte ich meine heutige Frau kennen und mit ihr erfolgte meine Öffnung zu den Königsblauen. Zuvor war ich Bayern-Fan. Auch noch im Mai 2001. Die Geschichte eines Tabubruchs. Meine Geschichte.

In Duisburg geboren, war der MSV der erste Verein in meinem Leben. Es waren die späten 70er, es war die Zeit vor dem ersten Abstieg, Spieler wie Rudi Seliger, Bobbel Büssers, Kurt Jara, Gerd Heinze und vor allem Bernard Dietz trugen das Zebra-Trikot. Auch mein erster Stadionbesuch fand im damaligen Wedaustadion statt. Mein Vater nahm mich mit. Weil mein Vater aber immer nur fußballinteressiert, nie aber echter Fan war, wurde der Besuch nicht als was wirklich Besonderes zelebriert. Tatsächlich kann ich mich nur daran erinnern, dass es stets ein großes Bohei gab, wenn der MSV gegen Bayern München oder Schalke 04 zu spielen hatte. Welches Spiel allerdings mein erstes Livespiel war, wie es ausging, was ich gut oder schlecht fand, kann ich nicht sagen. Ich habe schlicht keine Erinnerung an mein erstes Mal.

Ob ich mich daran erinnere oder ob es nur durch oftmalige Erzählungen meiner Eltern im Gedächtnis blieb weiß ich nicht, jedenfalls wurde mir irgendwann im Stadion Karl-Heinz Rummenigge als ein besonders guter Spieler vorgestellt, und am nächsten Tag fragte ich meine Mutter, ob dieser Verein denn nun aus Bayern oder aus München käme. Mein Interesse war geweckt und wurde durch Medienpräsenz geschürt. In Zeiten, in denen in der Sportschau kaum mehr als drei Spielzusammenfassungen gezeigt wurden waren die erfolgreichen Bayern immer dabei, der MSV eher selten. So kam das eine zum anderen. Ich wurde Bayern-Fan und sollte es lange bleiben.

Nun mag jeder „Fan“ definieren wie er will. Tatsächlich habe ich in meinem ganzen Leben lediglich ein Heimspiel des FC Bayern besucht. Ich fuhr ab und an zu Auswärtsspielen, wenn sie in den Westen kamen, und pflegte meine Fanschaft ansonsten per Fernsehgerät, was ab der Geburt des Privatfernsehens und der damit verbundenen, verstärkten Berichterstattung gut funktionierte. Obwohl selten live dabei, fühlte ich mich doch als echter Fan, der diskutierte, der für seine Meinung stritt und der nach Niederlagen sauer war.

Trotzdem fehlte mir das Liveerlebnis. Ich mochte „Stadion“ und ich mochte „Bundesliga“, ich mochte es, mit dem Radio im Stadion zu stehen, ein Spiel zu sehen und die anderen Spiele per WDR zu verfolgen. Mit einem Freund, seines Zeichens MSV-Fan und in Krefeld wohnend, fuhr ich regelmäßig zu Fußballspielen. Ich sah viele Erstligaspiele Bayer Uerdingens live, ich fuhr auch zu Oberliga-Auswärtsspielen des MSV, ich fuhr nach Bochum und nach Gelsenkirchen. Ich hegte stets Sympathien, vor allem für den MSV und für Bayer 05 Uerdingen, aber vor allem ging es um die Liebe zum Spiel, um den Fußball und um das Stadionerlebnis an sich. Ich mochte „meine Vereine“, aber sie titschten mich nicht an. Wenn Bayern München verlor, ärgerte mich das. Das war mein Gradmesser.

1991 spülte es mich im Ruhrstadion zu Bochum auf eine mit Schalkern vollgepackte Auswärtsfanstribüne. Schalke verlor 0:1, aber viel mehr Erinnerungen als an das Spiel habe ich an die Atmosphäre. Es war nicht mein erstes Schalke-Spiel, ich war zuvor schon einige Male im Parkstadion, auch 1989 gegen Blau-Weiß 90 Berlin, einem der wichtigsten Spiele der Schalker Vereinsgeschichte. Auch das war beeindruckend, aber nun stand ich erstmals mittendrin. Ich fühlte, ich gehörte nicht da hin, aber ich war hin und weg von der Stimmung, von den an mir vorbeifliegenden Armen beim „Attacke“-Ruf, von der Leidenschaft, von dieser gewaltigen Masse Blau-Weiß. Ich war so beeindruckt, dass ich mir noch dort im Stadion einen Schalke-Schal kaufte. Mein erster gekaufter Schal überhaupt. Ich trage ihn heute noch ab und an.

Damals legte ich ihn erstmal wieder weg. Das Spiel war wie Fremdgehen, so was tut man nicht, als Fußballfan. Spätestens nach der bald folgenden Winterpause hatte ich meine „Fußballhormone“ wieder im Griff. Was blieb war die Grundsympathie für Königsblau. Was in mir gor war die Unzufriedenheit mit dem TV-Fan-Dasein. Der Nährboden war bereitet, und doch dauerte es noch etwas.

Im Jahr 2000 ging meine damalige Ehe in die Brüche. Zwischen Mitte 2000 und Ende 2001 ging es in meinem Leben drunter und drüber, es gab wohl keine Phase in meinem Leben, in der mir Fußball unwichtiger gewesen wäre. Und so war es zwar in der Tat so, dass ich mich am besagten 19. Mai als Bayern-Fan bezeichnete, dass ich aber live nichts von den Ereignissen mitbekommen hatte und ihrer erst spät abends via Fernsehen gewahr wurde.

Den entscheidenden Dreh zum guten Heutigen bekam mein Leben dann im Oktober des gleichen Jahres. Ich lernte Frau Wieland kennen, zwar in Düsseldorf wohnend, aber wie der Zufall es wollte, eine Tochter Gelsenkirchens, ein Resser Mädchen. Mit einer neuen Frau bekommt man neue Bekannte geschenkt, aus denen bestenfalls Freunde werden. In meinem Fall waren diese Freunde nahezu alle Königsblau, wie dem eben so ist in Gelsenkirchen. Anfangs stand ich ihnen noch als Bayern-Fan gegenüber, aber meine Argumente gingen mir aus, denn eigentlich beneidete ich sie. Nur die Angst vor dem Unverständnis und ob der eigenen Vorstellung von (Fußball-)Moral wahrte ich noch meine Position. Bis ich entschied, mich gehen zu lassen.

Ich ging mit Schalker Freunden ins Stadion, und wieder, und wieder. Ich fühlte es wie 1991 und sperrte mich nicht mehr davor. Es fühlte sich gut an, live, rund, in sich stimmig, es war aufregend aber für mich doch irgendwie beruhigend, ein Ankommen.
Das in Worten zu erklären, jemandem der „nur mal so“ fragt, funktioniert nicht, weshalb ich mich verbal vielen Menschen, die mich noch als Bayern-Fan kannten, nie erklärte. Ein knappes „das hat sich so ergeben“ stellte sicher niemanden zufrieden, der ob meines oberflächlich betrachtet „spontanen Wechsels“ den Kopf schüttelte. Manchmal war mir das egal, manch Anderen gegenüber tat mir meine Unfähigkeit zur Erklärung richtiggehend leid. Auch ihretwegen gibt es nun hier diesen Text.

Tabubruch oder nur eine Entwicklung, nachvollziehbar oder unverständlich; heute mache ich mir über eine Wertung keine Gedanken mehr. Heute bin ich Schalker Vereinsmitglied aus Überzeugung und immer noch verliebt in diesen Club, egal welcher Mist einem ab und an widerfährt. Heute sitze ich im Stadion neben Freundin Kerstin, der besten Freundin meiner Frau, unserer Trauzeugin und Patin unseres Sohnes, und es fühlt sich an, als sei es die letzten 30 Jahre nie anders gewesen. Dies ist meine Geschichte, und heute bin ich mit mir im Reinen.

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