
Schalke 04 hat eine schwache Phase und auch Raúl vermag derzeit selten zu glänzen. Mit jedem schwachen Spiel werden die Kritiker lauter, immer häufiger wird hinterfragt, ob eine Vertragsverlängerung mit dem bald 35-Jährigen Spanier wirklich sinnvoll ist. Ein kurzes Innehalten, ein Blick auf die Situation.
Ich denke nicht, dass Raúls derzeitige schwächere Phase etwas mit seinem Alter zu tun hat. Natürlich wäre das nicht abwegig, in seinem für einen Offensivspieler hohen Alter muss man wohl mit einem Leistungsabfall rechnen. Aktuell gehört er aber nach wie vor stets zu den Schalker Spielern mit dem größten Laufpensum, und auch in Sachen Einsatz fällt er gegenüber seinen Mannschaftskollegen meines Erachtens nicht ab. Raúl ist in der zentralen Position einer der entscheidenden Spieler des FC Schalke 04. Spielt Schalke schwach, sieht auch er dabei nicht gut aus. Andererseits ist häufig genug er es, der Schalke gut aussehen lässt. Gegen den VfL Wolfsburg war er der Dreh- und Angelpunkt, lieferte ein starkes Spiel ab. Das er zwei Wochen später zu alt ist, glaube ich nicht.
Raúl hat in dieser Saison in 23 Bundesligaspielen bereits 11 Tore erzielt und 5 vorbereitet. Nach wie vor ist er einer der gefährlichen Spieler, einer auf den die Gegner schauen, den sie im Griff haben müssen um gegen Schalke erfolgreich zu sein. Raúl hilft Schalke nach wie vor und ist im derzeitigen Schalker Spielsystem eine Bereicherung. Trotzdem hinterlässt Raúl und alles um ihn herum auch immer wieder Eindrücke, die bei der Einschätzung seiner zu bedenken sind. Sie haben alle mehr oder weniger mit Raúls Status als Weltstar zu tun.
Raúl wurde von Anfang an nicht nur von den Fans, sondern auch vom Verein als unantastbar behandelt. Wenn er fit war, stand er stets in der Startaufstellung. Auch nach Verletzungen stand er stets schnell wieder auf dem Platz, selbst wenn er dann deutlich schwächer agierte. Ein Raúl will immer spielen, hieß es dann häufig. Der Eindruck ist, dass nicht etwa der Trainer, sondern dass Raúl selbst bestimmt, ob er spielt oder nicht.
Ein weiterer Eindruck ist, dass Raúl auch selbst bestimmt, wie er spielt. Huub Stevens sagte mal, ein Raúl bräuchte nicht am eigenen Strafraum zu grätschen. Mit dieser bewussten Überzeichnung erteilte er jeglichen Diskussionen um Raúls Aufgaben auf dem Platz eine Absage. Nun redet Huub Stevens eh selten über Taktik oder Spielsysteme, und grade derzeit geht es auf Schalke eher darum, funktionierendes zu bewahren als neues zu entwickeln. Aber wenn davon gesprochen wird, dass Schalke „noch nicht soweit“ sei – und das wird es häufig – beinhaltet das den Wunsch nach einer Weiterentwicklung. Ob dazu Raúl noch der richtige Spielertyp ist, darf zumindest infrage gestellt werden.
Vielleicht war es auch was persönliches, vielleicht etwas völlig abwegiges, wir werden es wohl nie erfahren. Jedenfalls fiel Raúls längste Unwohlphase auf Schalke just in die Zeit, da Ralf Rangnick zu Beginn dieser Saison Schalkes Spielweise in den Grundsätzen verändern wollte. Damals wurde von Raúl nach Toren geschwiegen anstatt gejubelt. Damals hieß es er wolle weg, kurz vor Transferschluss schien ein Wechsel nach Blackburn sicher, dann blieb er doch. Dieser Spuk war plötzlich vorbei, plötzlich wurde wieder gejubelt, wurde im Stadion wieder geraúlt, plötzlich war fast alles wieder gut. Und doch hinterließ diese Phase eine Ahnung, wie es sein kann und welchen medialen Druck es erzeugt, wenn Raúl sich grade nicht als große Sympath, sondern als der eingeschnappte Weltstar geben möchte. Dass Schalke den Spieler Raúl auch als Ikone übernommen hat, kann für jeden Trainer zur Gefahr werden. Wer Raúl auf die Bank setzt um auf der Position hinter den Spitzen vielleicht Lewis Holtby, vielleicht Julian Draxler zu entwickeln, wer da mit neuen, jüngeren Spielern das Spiel des FC Schalke 04 zu einer anderen Art und Weise bringen will, sollte tunlichst unaufhörlich siegen.
Horst Heldt ist nun der Macher auf Schalke. Er sagt, wo es sportlich langgeht, mit seinen Spieler- und Trainerverpflichtungen bestimmt er auch weitestgehend, welchen Fußball Schalke 04 in Zukunft spielen soll. Vertragsverhandlungen sind nie ein Poker, auch wenn Journalisten dieses Bild gerne zeichnen. Nach einem Vertragsabschluss müssen beide Seiten zufrieden sein, es darf keinen Verlierer geben. Raúl kann immer noch gut sein, und wenn er gut ist, ist er auch gut fürs Image. Raúl kostet aber auch einen hohen Preis, nicht nur monetär. Wohin Skipper Heldt steuert, werden wir erleben.
Foto: DerHans04