Es gibt Fußballfans, die an einer Weltmeisterschaft stört, dass es nicht bloß um Fußball geht, denen eine WM zu viel „Event“ ist. Dabei wird es doch gerade dadurch besonders. Ich kann mich durchaus an tolle WM-Spiele erinnern. Aber beim Plaudern mit Freunden, beim Erinnern, geht es in Sachen WM viel häufiger um die Umstände, um das Erlebnis besonderer Spiele, als um die Spiele als solche.
Von dem WM-Finale 1982 weiß ich aus eigener Erinnerung eigentlich nur noch, dass Dino Zoff am Ende den Pokal hob und dass Paolo Rossi traf. Sehr gut weiß ich allerdings, dass ich das Spiel im Sandkasten sitzend sah. Nicht dass ich gespielt hätte, ich war immerhin schon 10. Ich war lediglich Teil einer mindestens dreißigköpfigen Nachbarschaft, die sich um diesen Sandkasten versammelt hatte, um gemeinsam das Finale zu verfolgen. Ein nicht allzu großer Fernseher stand auf einer ungefähr 30 cm breiten und 180 cm hohen Holzwand, welche den Spiel- vom Parkplatz trennte. Man saß auf Holz-Klapp- oder Campingstühlen, Trank Bier oder Mirinda, aß selbstverständlich Kartoffelsalat und wartete auf das gut angekokelte Bauchfleisch vom Grill.
Das Achtelfinale gegen die Niederlande 1990 sah ich auf Mallorca. Mit Lumumba neben meinem Freund sitzend, wir in Deutschland-Leibchen, zwischen 20 Niederländern. In dem Hotel gehörten wir zu sehr wenigen Deutschen, die meisten Gäste kamen aus Skandinavien oder eben unserem Nachbarland. In der TV-Ecke der Lobby war die Stimmung durchweg gut. Polyester-Shirts im Trikot-Stil gab es auf der ganzen Insel. Pro Team gab es je zwei verschiedene Namen. Auf den orangefarbenen stand entweder Gullit oder Van Basten, auf unseren Klinsmann und Matthäus. Den Spuck-Vorfall hatten wir tatsächlich nicht mitbekommen. Im spanischen TV ging man irgendwie darüber hinweg, weshalb Völler und Rijkaard vom Platz mussten, war uns nicht klar. Allen war später allerdings klar, dass dies das große Spiel des Jürgen Klinsmann war. Feiernd, und von den Niederländern um uns herum anerkennend schulterbeklopft, sprang mein Kumpel mit seinem Klinsmann-Shirt nach Abpfiff in den ruhig daliegenden Hotelpool. Von der Rezeption wurde dies nicht goutiert. Den nächsten Lumumba haben wir aber trotzdem bekommen.
Zum Viertelfinale gegen Argentinien, 2006, war ich erst sekundengenau zum Anpfiff vor einer bildgebenden Leinwand. Diese hing im „Knoten“, eine kleine Kneipe in der Düsseldorfer Altstadt. Damals durfte ich für ein Projekt meiner Firma für einige Wochen in London arbeiten, flog montags hin, kam zum Wochenende wieder nach Hause. Frau Wieland holte mich am Flughafen ab. Bis nach Duisburg hätten wir es nicht geschafft, also fuhren wir in die Altstadt und gingen in eine Kneipe, in der wir auch schon ohne Fußball so manches Mal unseren Spaß hatten. Pünktlich zu Anpfiff reindrängeln, das fanden nicht alle um mich herum gut, ich bin immerhin fast 2 Meter groß. Aber wir richteten uns ein, tranken Alt und lagen uns nach Lehmanns Zettelshow in den Armen.
Natürlich gibt’s ähnliche Erinnerungen auch zu Spielen des Vereins. Zu den besagten WM-Spielen der Nationalmannschaft hat aber eben nahezu jeder eine eigene Version, egal aus welcher Stadt er kommt oder welchen Club er liebt, selbst die, die Fußball „sonst nicht so“ interessiert. Nahezu jeder weiß, wo und wie er Odonkors Flankenlauf und Neuvilles Tor in der 90. Minute gegen Polen erlebt hat. Selbst die, die bis zu diesem Tag den Namen Odonkor nie gehört hatten. Ich mag sowas. Die Weltmeisterschaften produzieren Fußballgeschichte für jeden einzelnen. Das ist besonders.