Morgen spielt Schalke 04 in Lviv, in der Ukraine, einem Land im Krieg. Vor 74 Jahren, während eines anderen Krieges, gab es in der Ukraine ebenfalls ein Fußballspiel zwischen einer deutschen und einer einhei- mischen Mannschaft. Es gelangte später zu trauriger Berühmtheit.
Damals, am 9. August 1942, spielte die sogenannte „Flakelf“, eine Mannschaft aus Mitgliedern der deutschen Flugabwehr, gegen den FC Start aus Kiew. Dieses Team war die Betriebsmannschaft einer Brotfabrik, in der größtenteils ehemalige Spieler von Dynamo Kiew spielten. Der FC Start gewann das Spiel auf eigenem Gelände mit 5:3. Nach dem Krieg wurde in der Sowjetunion verbreitet, die Spieler des FC Start seien von der SS erschossen worden, da sie mit ihrem Sieg die deutschen Besatzer bloßgestellt hätten. Seit etwa 1990 wurde diese Darstellung zunehmend als Propaganda entlarvt. Mehrere Spieler des FC Start wurden nachweislich ermordet, allerdings nicht wegen des von den Sowjets zum „Todesspiel“ stilisierten Fußballspiels im August 1942.
Die Gründe für die Inhaftierung und Ermordung der Spieler des FC Start liegen teilweise noch im Dunkeln. Vermutlich spielten innerukrainische Auseinandersetzungen eine Rolle. Neun frühere Dynamo-Spieler in Diensten des FC Start wurden als heimliche Mitarbeiter der sowjetischen Staatssicherheit denunziert. Sie landeten im KZ Syrez im Norden von Kiew, einem Nebenlager des KZ Sachsenhausen. Drei der Spieler wurden ein halbes Jahr nach ihrer Verhaftung, am 23. oder 24. Februar 1943, mit einer Gruppe anderer Häftlinge auf dem Gelände des KZ Syrez erschossen. Zum Anlass der Ermordung machten Zeitzeugen unterschiedliche Angaben. Einer Aussage zufolge sollen die Fußballspieler beobachten haben, wie der Hund des cholerischen Lagerleiters Paul Radomski Wurst aus der Küche stahl, woraufhin sie ihn mit einer Schaufel geschlagen und vertrieben hätten. Ein SS-Mann, der einschreiten wollte, sei von einem der Spieler angegriffen worden. Der Lagerleiter Radomski habe daraufhin ihre Exekution angeordnet.
Nahezu jeder in der Ukraine kennt die Geschichte dieses „Todesspiels“. Es ist Schulstoff – wobei sich die Akzente der Geschichte im Laufe der Jahrzehnte erheblich verändert haben.
Das Start-Stadion heute, im Norden von Kiew.
Neben das allbekannte „ACAB“ tritt hier eine Huldigung der Helden und Patrioten des aktuellen Krieges in der östlichen Ukraine.
Eingang des Start-Stadions.
Ein Mahnmal erinnert an das „Todesspiel“, wobei der Adler offenbar Deutschland symbolisiert und hier niedergedrückt wird, von den Knien eines starken Athleten. Dessen Armbewegung weckt Assoziationen; die Friedenstaube auf dem Kopf kam zufällig auf das Bild.
Kinder haben einige Banden verschönert. Die „Sendung mit der Maus“ ist auch hier beliebt.
Dieses vernachlässigte Mahnmal ist das einzige Gedenken an das KZ Syrez.
Einige Kilometer nördlich des Start-Stadions, fast versteckt inmitten einer Wohnanlage, gibt es ein Mahnmal eigens für die ermordeten Fußballspieler. Wohlgemerkt nicht auf dem Gelände des FC Start.
Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer von Babyn Jar. – In der sog. „Weiberschlucht“ (ukrainisch: Babyn Jar) wurden die exekutierten Fußballspieler in Massengräbern verscharrt. Babyn Jar, unweit des Start-Stadions, ist vor allem der Ort des größten Kriegsmassakers an Juden vor dem Beginn ihrer industrialisierten Ermordung in den Vernichtungslagern. Die Juden von Kiew wurden unter dem Vorwand der „Evakuierung“ in die Weiberschlucht gelockt. Hier wurden an einem einzigen Tag, Ende September 1941, fast 34.000 Menschen erschossen. Maßgeblich beteiligt war die Wehrmacht.
Ein Teil der Weiberschlucht (Babyn Jar) heute. Babyn Jar ist inzwischen ein Park auf Kiewer Stadtgebiet.
Mahnmal zur Erinnerung an den 60. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar. – Ein Museum, ein Dokumentationszentrum oder wenigstens einen zentralen Informationsort zum Komplex FC Start, Syrez, Babyn Jar gibt es bis heute nicht.
Alle Fotos: Uwe Englert | Infotexte zu den Fotos: Uwe Englert | Text: Uwe Englert, Torsten Wieland
Die im Infokästchen oben erwähnte „Annan-Story“ findest Du hier.