Das Prinzip Show

Die andere Idee von Profisport in den USA

In der Nacht von Sonntag auf Montag findet in Miami, Florida, der Super Bowl statt, das Endspiel der US-Football-Liga NFL. Mittlerweile ist dies ein Ereignis von weltweitem Interesse. Etwas, das jeder mitbekommt, ob er Football nun mag oder nicht. Wer hinschaut wird zustimmen, dass es sich um eine gigantische Show handelt.
Auch die Endspiele der Fußball Weltmeisterschaft oder der europäischen Champions League sind große Shows. Und doch fühlt es sich noch anders an. Beim Fußball nimmt die Show dem Sport immer mehr von seiner Ursprünglichkeit. Beim Football gehört die Show dazu, mehr noch, das Spiel unterstützt diese. Dem Sport der großen US Profiligen, egal ob Football, Baseball, Basketball oder Hockey, liegt eine radikal andere Idee zugrunde. Eine Idee, welche ihren Ursprung vor bald 150 Jahren hatte. US Sport ist mit dem europäischen und vor allem mit dem deutschen Verständnis von Ligasport nicht zu vergleichen.

Fußball in Deutschland: Sich messen und konkurrieren

Als der Fußball nach Deutschland kam, traf er auf ein Land von Turnern. Turnen war körperliche Ertüchtigung zum Wohle seiner selbst. Man turnte gemeinsam. Turnen war gut. Fußball war wild. Fußball war ein Gegeneinander. Turner wollte mit Fußball nichts zu tun haben. Die unzähligen „Turn- und Sportvereine“ in Deutschland zeugen noch heute davon, dass man sich Turnen keinesfalls in der gleichen Kategorie wie Fußball und ähnlichem denken konnte.

In den 1880er Jahren entstanden in Deutschland die ersten Fußballvereine. Noch vor der Gründung des Deutschen Fußball Bundes gab es Spiele von deutschen gegen französische und englische Auswahlmannschaften. Ab 1903 gab es erste deutsche Meisterschaftsrunden. Damals wurde das Prinzip geschaffen, nachdem Fußball noch heute funktioniert. Die Sieger kommen weiter, spielen bis zum Triumph und werden für diesen belohnt. Die Verlierer bleiben zurück, steigen in untere Ligen ab, während andere, bessere Mannschaften ihren Platz einnehmen.

Die Cincinnati Red Stockings: Die Idee des Geldverdienens

In den USA war Baseball die erste Sportart, die sich zu organisieren begann. Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurde Baseball gespielt. Nach heutigem Wissen wurde 1845 der erste Verein gegründet, die New York Knickerbockers. Entscheidend für die Entwicklung zum heutigen System waren aber die Cincinnati Red Stockings (heute Cincinnati Reds), welche ab 1869 durch die Gegend zogen.

Durch die Gegend zogen? Genau. Den Red Stockings war nicht daran gelegen, einen Pokal in die Höhe zu stemmen. Sie waren eine Art Wanderzirkus. Sie spielten besser als alle anderen. Wohin sie auch kamen, es wurden Auswahlmannschaften zusammengestellt, um gegen sie anzutreten. Sie waren ein Ereignis. Die Leute wollten sie spielen sehen. In den ersten beiden Jahren bestritten die Red Stockings über 130 Spiele und blieben dabei unbesiegt. Sie verdienten Geld damit.

Die US Profiligen als geschlossene Veranstaltungen

Die Idee des Geldverdienens durch Sportunterhaltung ist die Grundlage aller US Profisportligen. Dies zu wissen ist der Schlüssel, um amerikanischen Sport und dessen Unterschiede zum hiesigen System zu verstehen. Die Ligen sind große Unternehmen, die einzelnen Clubs Franchisenehmer. Die Clubs gehören Besitzern, die ihrerseits erfolgs- und damit auch gewinnorientiert handeln. Die Clubs setzen einen Commissioner ein, der die Interessen der Liga vertritt und als eine Art Schiedsrichter fungiert. Wichtige strategische Entscheidungen entscheiden aber die Clubs gemeinsam.

In diesen Ligen gibt es keinen Auf- oder Abstieg. Man versteht sich als das Premiumprodukt des entsprechenden Sports. Man nennt die Sieger „World Champions“ und die Liga „The Show“. Es kommt vor, dass Besitzer mit ihrem kompletten Club die Stadt wechseln möchten. Zum Beispiel, weil man seit Jahren unter einem abnehmenden Zuschauerzuspruch leidet, oder weil eine andere Stadt mit dem Neubau eines Stadions lockt. Die Umsetzung wird von der Gemeinschaft aller Clubs erlaubt oder verhindert. Ebenso wie der Verkauf eines Clubs an einen neuen Besitzer, oder gar eine Erweiterung der Liga durch die Vergabe einer neuen Lizenz, welche dann kurzerhand zur Erfindung eines neuen Clubs führen kann.

Entscheidend ist, dass jede Liga einen mehr oder weniger konkurrenzlosen Kosmos darstellt, in dem Regeln für alle gelten, zu denen es keine Alternative gibt. Unterschreibt beispielsweise ein Baseball-Talent einen Vertrag bei den New York Yankees, unterschreibt er einen Vertrag der Major League Baseball. Wollen die Yankees das Talent nicht mehr, schicken sie es vielleicht mit zwei weiteren jungen Spielern zu den Cleveland Indians, und bekommen dafür einen gestanden Profi zurück. Fortan spielt das Talent eben bei den Indians. Nachgefragt wird dafür nicht. Erst mit einem gewissen Star-Status haben Spieler die Chance, sich eine „No-Trade“-Klausel und damit ein Vetorecht in den Vertrag schreiben zu lassen. Die Clubs mögen das nicht, weil es ihre Handlungsfähigkeit einschränkt. Sie bezahlen hohe Gehälter und erhalten dafür einen Gegenwert, die Leistung des Spielers oder dessen Tauschwert. Für sie ist es normal, darüber frei zu verfügen.

Das Bestreben nach Ausgleich

„The Show“ soll nicht langweilig werden. Alle Besitzer wollen Geld verdienen. Die US Profiligen sind der Überzeugung, dass es insgesamt weniger profitabel ist, wenn stets nur eine Handvoll Clubs die Chance hat, Champion zu werden. Deshalb erfand die NFL das Draft System, welches später von allen US Profiligen übernommen wurde.

Dabei teilen die Clubs die Rechte zur Verpflichtung von noch nicht für die Proficlubs spielenden Talenten untereinander auf. Der Clou ist, dass dabei der in der vergangenen Saison schwächste Club zuerst und der Champion zuletzt auswählen darf. Ein Talent, welches von einem Club „gedraftet“ wurde, darf nur bei diesem einen Profivertrag unterschreiben. Will er das partout nicht, spielt er nicht in der Liga.

Ein weiteres Instrument, um Ungleichheiten zwischen den Clubs auszugleichen, ist die „Salary Cap“. Eine von der Liga festgelegte Obergrenze, welche die Clubs an Ausgaben für Spielergehälter nicht überschreiten dürfen. Nun ist es so, dass einige Clubs solche exorbitanten Einnahmen aus TV-Rechten beziehen, dass sie Strafzahlungen von bis zu 40 Millionen Dollar pro Jahr hinnehmen, um eben doch den Kader ihrer Wünsche zusammenzustellen. Vollendes lässt sich der Unterschied in den Märkten, beispielsweise zwischen Clubs aus New York oder Los Angeles gegenüber Clubs in eher ländlichen Gebieten, eben nicht ausgleichen. Dennoch ist die „Salary Cap“ ein Ansatz, um dem vollkommen zügellosen Wirtschaften im Profisport zu begegnen.

Die US Profiligen, das bessere System?

Auch in der NFL gibt es Clubs, die sich über einen längeren Zeitraum an der Spitze halten können. Trotzdem erreichen regelmäßig Teams den Super Bowl, die seit Jahren oder sogar noch nie große Erfolge feiern konnten. Die Kansas City Chiefs, als diesjähriger Teilnehmer, sind da ein gutes Beispiel. Vor 50 Jahren standen sie zum letzten mal im Endspiel. Noch 2012 spielten sie die schlechteste Saison der Club-Geschichte. Danach engagierten sie einen neuen Manager und ihren heutigen Coach Andy Reid, begannen gut zu arbeiten und nutzten 2018 ihren ersten „Draft-Pick“ dazu, Quarter Back Patrick Mahomes zu verpflichten. Seit vier Jahren gehören die Chiefs zu den besten Clubs der NFL, und weil Patrick Mahomes zum Superstar avancierte sind sie nun sogar Favorit auf den Sieg im Super Bowl am Sonntag.
Im Baseball gewann 2015 ein Club die Endspielserie, der zuletzt vor 30 Jahren triumphierte. 2016 siegten gar die Chicago Cubs, der seit 108 Jahren auf einen Titel warteten! Beispiele dafür, dass das System funktioniert. Dass es für Abwechslung sorgt, und dass es in den amerikanischen Ligen möglich ist, einen Club zu „rebuilden“; über den Draft einige Jahre Talente zu sammeln, so Werte zu schaffen und über geschicktes Management auch in einem „Verliererclub“ ein konkurrenzfähiges Team zusammenzustellen.

Entwicklungen, die im europäischen Fußball unmöglich erscheinen, wo sich Verhältnisse fast ausschließlich über den Geldfluss von Investoren verschieben lassen. Dennoch braucht man sich die Frage nach einem besser oder schlechter nicht stellen. Das US System ist vor allem anders, und es lässt sich unmöglich nach Europa übertragen.

Die Fußballclubs in Deutschland sehen sich nicht als Gemeinschaft. Die „Solidarität“ in Sachen TV-Vermarktung ist ein Feigenblatt. Bayern München konkurriert mit Real Madrid und Chelsea, die Zweitgrößten haben Bedenken von den Drittgrößten eingeholt zu werden. Überall ein Gegeneinander, alles in Konkurrenz, so wie Fußball in Europa groß geworden ist. Niemand kann akzeptieren, zu Gunsten eines großen Ganzen zurückzustecken. Das ist nicht unter einen Hut zu bekommen. Insbesondere auch, weil sich hier die Vorteile des abgeschotteten Systems einer US Liga nicht erreichen lassen, weil Fußballclubs in einem weltweiten Markt agieren. Ein Draft-System ist hier undenkbar. Wenn einem Fußballspieler vorgeschrieben werden soll, für welchen Club er zu spielen hat, sucht er sich eben ein anderes Land.

Das wird so bleiben, dass sich die zu großen Abstände in den Umsätzen der Fußballclubs nicht sportlich überwinden lassen. Es wird so bleiben, dass viele Fußballfans es als falsch empfinden, dass ein deutscher Milliardär seinen Dorfclub in die Bundesliga bringt, oder ein Brausehersteller einen Club an die Spitze führt. Oft sind es dann die gleichen Leute, die nachts beispielsweise den New England Patriots zujubeln, die einem Milliardär und Besitzer einer Unternehmensgruppe der Papier- und Verpackungsindustrie in den USA gehören. Oder den San Francisco 49ers, deren Besitzer bereits reich auf die Welt kam und von seinen Eltern als Clubchef installiert wurde.
Die Bundesliga und ihre einzelnen Clubs sind längst Unternehmen im Unterhaltungsbusiness, sie verkaufen den Fußball als leicht konsumierbares Produkt. Nur darf das niemand sagen. Fans wollen das nicht hören. Sie wollen anders sein, purer, echter, ehrbarer. Fast ein bisschen so wie deutsche Turner im 19. Jahrhundert.

Dieser Text wurde, mit anderem einleitenden Satz, erstmals am 07. Februar 2017 im königsblog veröffentlicht.

Foto: Wikimedia

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