Vom Abschied und dem Glück der Liebe

Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht Beziehungen zu anderen Menschen, um glücklich zu sein. Gleichzeitig ist unausweichlich, dass jede Beziehung irgendwann endet. Davon handelt »Unzertrennlich – Über den Tod und das Leben«, von Irvin David Yalom und Marilyn Yalom. Ein Buch, das einen dazu bringt zu weinen, und das einen dennoch nicht traurig zurück lässt.

Trauern ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir den Mut haben, andere zu lieben.

Motto des Buchs

Irvin und Marilyn Yalom waren 65 Jahre verheiratet als klar wurde, dass Marilyn sterben würde; dass sie ihr Leben beenden mochte, weil sie die Schmerzen ihrer Krankheiten nicht mehr ertragen konnte. Irvin ist emeritierter Professor für Psychiatrie und hat sein ganzes Leben damit verbracht, Menschen mit Ängsten zu behandeln und Trauer zu erforschen. Er ist Autor vieler Bücher zum Thema und gilt als bedeutendster lebender Vertreter der existentiellen Psychotherapie. Marilyn war Literaturwissenschaftlerin, Professorin für französische Literatur, Geschlechterforscherin und feministische Sachbuchautorin. In Sichtweite ihres eigenen Todes war es Marilyns Idee und Wunsch, dieses Buch, ihr letztes, gemeinsam und wechselweise mit Irvin zu schreiben. Also steht neben dem Titel eines jeden Kapitels, in welchem Monat des Jahres 2019 und von wem der beiden es geschrieben wurde. 22 Kapitel, bis zum 20. November, als Marilyn verstarb. Zu Ende schreiben musste Irvin das Buch alleine. 

Was so entstand ist ein wundervolles Werk. Natürlich geht es um den Tod, um das Sterben, auch um Sterbehilfe. Es geht um Abschied, um das was bleibt, um das was mitstirbt. Was von dem, was man im Leben geschaffen oder gesammelt hat, überdauert einen? Was mag man weitergeben, was kann man zurücklassen? Es behandelt die Last der Einschränkungen im Alter, die Konfrontation mit der Endlichkeit. Die Endlichkeit der Partnerschaft, der Liebe, auch seiner eigenen. Tiefgehende Themen, die einem plötzlich so nah sind, weil man keinen Roman liest, kein Sachbuch, weil man mit Marilyn und Irvin ist. Indem Marilyn und Irvin ihre Gedanken und Erfahrungen mit uns teilen, lassen sie uns bei sich sein. Wir sind mit auf dem Weg, spüren ihre Liebe, folgen ihren reflektierten Gedanken und erleben sie doch auch überfordert. Marilyn im Leiden an ihrem Schmerz, Irvin im Leiden an seiner Verlustangst und seinem Alter.

Die Zeilen dieses Buchs erzeugen Trauer. Gleichzeitig sind sie so fesselnd, dass man dabei bleiben will. Wenn Liebe plötzlich bedeutet, dass man den Partner loslassen und den weiteren Weg alleine gehen muss, ist das schwierig mitzufühlen; denn so weit mag man im Alltag nicht denken, das erachtet man als Unglück, das schiebt man weg. Letztlich ist es aber das Gegenteil von Unglück, sich in Liebe voneinander zu verabschieden.

Dieses Buch ist keins für ein Zwischenfazit. Mir war schnell klar, dass meine Halbe Bücher-Idee hier aussetzen musste. Ich mochte dieses Buch zu Ende lesen und sacken lassen bevor ich darüber schreibe. Bevor ich es empfehle, denn das möchte ich tun. Der Tod und die Liebe gehen uns alle an. Und es kann wunderschön sein, sich damit zu beschäftigen. Zwar mitzuleiden, aber dadurch auch mitfühlen zu dürfen und letztlich auch zu können.

»Unzertrennlich – Über den Tod und das Leben« von Irvin D. Yalom und Marilyn Yalom ist am 10. Mai 2021 im btb Verlag erschienen. Die gebundene Printausgabe hat, inklusive Nachwort, 314 Seiten.

Bild: Nina Hill

4 Thoughts

  1. Steht auf meiner Liste, schon lange, jetzt muss es endlich gelesen werden. Auf die lange Bank schob ich es auch, weil ich Schiss vor dem Thema hatte. Dein Beitrag ist Anstoß, aber auch ein Interview mit Yalom, in der Süddeutschen von Dezember 2021…

  2. Ich hatte es tatsächlich gleich in der ersten Wochen nach dem Erscheinen gekauft. Spontan, von einem Neuerscheinungen-Tisch in einer Buchhandlung in Gladbeck. Ich habe es auch gleich gelesen. Nur mit diesem Text dazu tat ich mich schwer.

    Ich hatte mehrmals angefangen, den Text liegengelassen, war nicht zufrieden. Mal fand ich eine zu kleinteilige Beschreibung irgendwie »unwürdig«, mal fand ich nicht die richtigen Worte für meine Gefühle beim lesen.

    Letztlich hat mich das sogar aufgehalten, über andere Bücher zu schreiben. Ich habe eigentlich recht viel gelesen, in 2021, und wollte auch recht viel drüber schreiben. Aber da war dann immer dieser unfertige Text. Ein Text der geschrieben werden wollte, aber nicht so recht konnte.

    Jetzt bin ich zufrieden. Durchaus mit dem Beitrag als solchen, aber auch, dass ich diesen Knoten gleich zu Beginn des Jahres gelöst habe.

  3. Kann mich MAGsein nur anschließen, ein würdiger Beitrag! Ich kannte das Buch bis gerade eben nicht. Dein Beitrag macht neugierig. Und doch habe ich auch ähnliche Bedenken wie MAGsein, denn das Thema ist sicherlich Gras. erst einmal kein leichtes.

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